Barbara Heer

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Wie politisch darf Religion sein? Rede zum interreligiösen Fastenbrechen im Union

Rede vom 12. Mai 2019, interreligiöses Fastenbrechen im Union

Sehr geehrte Anwesende

Es ist mir eine grosse Ehre, Sie heute zu diesem interreligiösen Fastenbrechen begrüssen zu dürfen. Für die, die mich noch nicht kennen – meine Name ist Barbara Heer, ich bin Grossrätin der SP hier in Basel-Stadt, und zudem bin ich beruflich die Koordinatorin des runden Tisches der Religionen in Biel, Biel im Kanton Bern. Ich richte Ihnen deshalb ganz herzliche Grüsse aus von den Mitgliedern dieser interreligiösen Plattform in Biel.

Der Ramadan hat vor ungefähr einer Woche angefangen, ein wichtiger Monat im Jahr der Musliminnen und Muslime, die Sie ja ungefähr 8% der Bevölkerung im Kanton Basel-Stadt ausmachen. Im ganzen Land versammeln sich in diesen Wochen interreligiös zusammengesetzte Feiergemeinschaften, bestehend aus Menschen verschiedenster Religionen und Konfessionslose, um gemeinsam Fasten zu brechen, um Anteil zu nehmen an diesen besonderen Feierlichkeiten. Am Freitagabend war ich an einem Fastenbrechen hier in Basel im Quartiertreffpunkt Breite. Am Samstagabend fand ein grosses Fastenbrechen in Biel statt, und heute sind wir hier im Kultur- und Begegnungszentrum Union.

Die Tatsache, dass so viele öffentliche, interreligiös organisierte Fastenbrechen stattfinden, ist für mich ein Zeichen für eine aktive, wachsende, und vor allem vielfältige interreligiöse Bewegung in der Schweiz. Wir sind eine Bewegung von Menschen, die sich dafür einsetzen, Grenzen zu überwinden. Wir sind eine Bewegung von Menschen, die sich dafür einsetzen, dass die verschiedenen Lebenswelten in einer Stadt wie Basel nicht einfach nebeneinander existieren, sondern miteinander. Die interreligiösen Fastenbrechen stehen für eine Schweiz, die nicht von Kuhglocken und grünen Wiesen geprägt ist, sondern von Vielfalt. Dafür brauchen wir eine starke Demokratie, die sicherstellt, dass wir unsere Religion oder Nicht-Religion ausüben dürfen, ohne aber andere in ihrer Autonomie einzuschränken. Dafür brauchen wir eine Demokratie, die nicht etwa konfliktfrei ist, sondern gute Arten und Weisen pflegt, wie wir auf Augenhöhe und gewaltfrei miteinander auch mal streiten. Interreligiöser Dialog bedeutet nicht, dass man nur Harmonie und das Gemeinsame sucht, sondern dass man sich darin übt, Unterschiede und Dissonanzen auszuhalten.

Heute Abend werden wir hier alle zusammen essen. Wir werden zusammen reden, uns gegenseitig Fragen stellen wie «wieso fastest du?» oder «fastet man in deiner Religion auch?» Zusammen essen, zusammen sprechen sind alltägliche, vielleicht sogar banale Dinge. Vielleicht haben Sie sich schon mal fragen – wieso genau mache ich den ganzen Effort, um einen solchen Anlass zu organisieren? Eigentlich könnte ich heute abend gemütlich auf der Couch sitzen, oder ich könnte im Vereinslokal von meiner Gemeinschaft Fasten brechen. Ich möchte Ihnen sagen: gemeinsam zu essen, sich hier zu begegnen, über Grenzen hinweg, ist alles andere als banal. Ich möchte ihnen mindestens drei Gründe nennen, wieso es wichtig ist, dass wir alle diesen Extra-Effort machen.

Erstens, die Qualität von unserer Gesellschaft, die Qualität von unserer Demokratie misst sich daran, wie wir mit Menschen umgehen, deren Meinung, deren Glauben wir nicht teilen. Ein interreligiöses Fastenbrechen ist ein Inbegriff von einem ethisch guten Umgang mit unseren Unterschieden. Neugierig gehen wir aufeinander zu, wir wollen uns gegenseitig besser verstehen, wir wollen Anteil nehmen resp. Anteil nehmen lassen. Über Grenzen hinweg bauen wir hier heute Abend Gemeinschaft.

Zweitens, sind interreligiöse Feste wie dieses wichtig, denn - gemeinsam sind wir stärker. Der Platz von Religionen in einer säkularisierenden Gesellschaft wird häufig in Frage gestellt.  Wie politisch darf Religion sein?  Die reformierte und katholische Kirchgemeinde in der Stadt Biel werden am Tag des Frauenstreiks, dem 14. Juni, um 11.00 ihre Kirchenglocken 15 Minuten läuten lassen, als Zeichen gegen Gewalt an Frauen. Die reformierte Kirchgemeinde Biel, mein Arbeitgeber, findet nämlich: wir mischen uns dort politisch dort ein, wo christliche Grundwerte und ihre ethischen Grundthemen betroffen sind, und das ist beim Thema Gewalt an Frauen der Fall. Weil die katholischen und die reformierten Kirchenglocken gleichzeitig läuten werden, wird man das in der ganzen Stadt hören. Zusammen sind wir viel lauter als wenn wir alleine wären.

Drittens, sind interreligiöse Feste wichtig, weil Begegnungen, die Beziehungen, die wir heute Abend erschaffen, die Bekanntschaften, vielleicht sogar Freundschaften, die beste Verteidigung ist gegen die Instrumentalisierung unserer Unterschiede. 

Wenn jemand morgen zu mir kommt, und sagt: «Muslime sind so und so, deshalb solltest du sie nicht mögen» kann ich mich an den heutigen Abend erinnern, an die Begegnungen, die ich heute Abend erleben werde, und ich werde feststellen, wenn ich die Begegnungen mit den Vorurteilen und Gerüchten vergleiche: die Vorurteile verfallen zu Staub. Interreligiöse Begegnungen sind deshalb das beste Rezept gegen Vorurteile. Begegnungen über Grenzen hinweg sind der soziale Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, auch wenn oder gerade weil wir alle so unterschiedlich sind. Deshalb sind die Begegnungen, die wir heute erleben, Gold wert. Sie sind die Basis vom religiösen Frieden.

Religionen sind eine grosse Bereicherung für unseren Kanton, Religion kann Orientierung und Gemeinschaft geben in einer komplexen Welt, Religionen sind Teil der kulturellen Vielfalt. Religionen resp. wir Menschen, die sich einer Religion mehr oder weniger zugehörig fühlen, haben aber eine grosse Schwäche: unser Gefühl von Zugehörigkeit, unser religiöses oder kulturelles Empfinden, kann missbraucht werden, um uns gegen Andersgläubige aufzubringen, um Fremdenfeindlichkeit gegen andere Kulturen zu schüren.  Häufig ist zwar nicht Religion die eigentliche Ursache von einem Konflikt, aber die Instrumentalisierung religiöse Unterschiede können Konflikte massiv verschärfen.

Die Weltgeschichte und Geschichte der Schweiz sind leider voll von solchen Beispielen. Der Religionsfrieden ist also nicht selbstverständlich, sondern er verlangt dauernd unseren Einsatz. Wenn wir möchten, dass Religionen ihren Platz haben in der Gesellschaft, stehen wir auch in der Pflicht uns mit diesen Nachteilen und Gefahren von Religion auseinanderzusetzen. Wir alle stehen in der Pflicht, uns für den religiösen Frieden zu engagieren.

Meine Fraktion, die Fraktion der SP, hat im Grossen Rat in Basel-Stadt mehrere politische Vorstösse lanciert, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Kanton zu verbessern. In einem Vorstoss, der bereits erfolgreich an die Regierung überwiesen worden ist, fordere ich, dass es bessere Ausbildungsmöglichkeiten für religiöse Leitungspersonen gibt. Am nächsten Mittwoch debattieren wir im Grossen Rat einen weiteren SP Vorstoss, der fordert, dass die Seelsorgestrukturen der Religionsvielfalt angepasst werden. Wir als SP Fraktion setzen uns dabei nicht ein für eine Religionsgemeinschaft, unser Ziel ist vielmehr, dass unsere kantonalen Strukturen der Religionsvielfalt sowie auch der Konfessionslosigkeit besser gerecht werden.

Was aber das effektive Zusammenleben der Religionen, den Religionsfrieden im Alltag betrifft, da braucht es Ihr Engagement, da sind Sie gefragt, als religiöse Personen, als Religionsgemeinschaften.

Deshalb ist es wichtig, dass Sie heute Abend nicht auf der Couch zuhause sitzen, dass Sie nicht in den Räumlichkeiten der eigenen Gemeinschaft Fasten brechen, sondern dass Sie heute hier, um gemeinsam zu essen, um einander zu begegnen.

Begegnungen über Grenzen hinweg sind nicht banal, sondern sie sind der wichtigste Baustein für eine gerechte, soziale und vielfältige Schweiz.

Deshalb bedanke ich mich, dass Sie heute alle hier sind. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und, vor allem, viele tolle Begegnungen.

Barbara Heer
SP Grossrätin Basel-Stadt
Koordinatorin runder Tisch der Religionen Biel